1468 bis 1622:
Die Fürstenzeit

Der „tolle Fritz“, so nennt das Volk den Pfalzgrafen Friedrich I. Nicht ohne Grund. Festessen schmecken ihm wie das vorangehende Jagen. So ist es auch ganz nach seinem Geschmack, dass die Gegend um Lampertheim im Zuge von Kämpfen gegen den Mainzer Kurfürsten Diether von Isenburg im Jahr 1461 kurpfälzisch wird. Denn der Wildbann östlich des heutigen Neuschloß‘ ist von jeher für die vielen Tiere bekannt, die dort leben – Rehe, Wildschweine, damals sogar auch Hirsche und Wölfe.

Allerdings hat das Jagen im Wildbann natürlich einen unbequemen Nachteil. Als Tagesausflug mit Hinreise, Jagen und Rückreise nach Heidelberg ist das für den Fürsten und seine Gesellschaft eine anstrengende Sache. Klar, die fröhliche Runde hätte auch vom Ladenburger Schlösschen aus starten können. Aber die Umstände passen Friedrich I. nicht.

Was also liegt näher, als sich mitten im Jagdgebiet aufzuhalten? Dazu muss man wissen: Damals gibt es noch viel mehr Wald als heute – ein großes zusammenhängendes Gebiet vom Neckar bis nach Darmstadt, von Lampertheim bis zum Odenwald. Und in einer schmalen Lichtung, auf einer kleinen Anhöhe, am Kreuzungspunkt von drei wichtigen Wegen: Neuschloß. Die Idee für ein kurpfälzisches Jagdschloss reift. Dank der Urkunde wissen wir: Am 10. September 1468 muss es stehen.

Wegen der Lage am Knotenpunkt ist das Jagdschloss übrigens nicht nur schnell zu erreichen. Die Anlage kann zugleich gut verwendet werden, um Wegezölle zu erheben.

Die Schlossanlage

Wenn wir heute von „dem Schloss“ reden, meinen wir meist den erhaltenen, kleinen Rest einer ursprünglich viel größeren Anlage: den Beamtenbau. Eine Skizze aus dem Jahr 1708 zeigt unten in der Mitte genau dieses Gebäude, daneben die inzwischen verschwundenen Teile der Anlage.

Darstellung der Schlossanlage aus dem Jahr 1708 von Johann Heinrich Jobst aus Alsfeld.
Darstellung der Schlossanlage aus dem Jahr 1708 von Johann Heinrich Jobst aus Alsfeld.

Das ist vor allem rechts der eigentliche Fürstenbau, ein stattliches Gebäude mit einem Turm an der Westseite, etwa 25 Meter hoch. Östlich direkt neben dem Beamtenbau befindet sich der Eingang der Anlage, ein geschmücktes Sandsteinportal.

Westlich des Beamtenbaus liegen der prächtige Marstall sowie die übrigen Ställe und eine Scheune. Im Hintergrund sind einige Tagelöhnerhäuschen zu erkennen. Eine Windmühle sowie eine große Gartenanlage, die es nach vorliegenden Unterlagen ebenfalls geben muss, fehlt in der Zeichnung. Eine Mauer umgibt die Anlage, Graben und Wall schützen das angrenzende Schlossfeld – vor allem vor Wildtieren.

Kolorierte Variante der Darstellung aus dem Jahr 1708.
Kolorierte Variante der Darstellung aus dem Jahr 1708.

Fürsten lassen es sich gut gehen

Die Fürsten wechseln – aber alle lassen es sich gut gehen in Neuschloß. Eine Beschreibung aus dem Jahr 1585 zeigt, dass es an nichts fehlt, wenn der Fürst jagen geht und sich danach erholen muss:

Des Weins waren in großen vier und sechsmäßigen Flaschen auf 45 Maß (90 Liter), auf der hohen Tafel wurden viermal Grundeln, nämlich dreierlei gesotten und einmal gebacken, desgleichen 4 Hahnen, 2 Kapaunen und 1 Gans, neben Trauben, Mandeln, Käs, Eierdachern und anderem aufgetragen. Hernacher, über den anderen Tag, als der Lizentiat mit dem Pfarrherrn (von Bensheim), so im Neuen Schloß predigen mußt, herüber(ge)kommen, ließen Ihro Fürstl. Gnaden einen ehrsamen Rat einen Hirschschlegel und einen Bug verehren, welchen sie auf dem Rathaus miteinander verzehrten.

Auch Gäste kommen. Die Akten des Wormser Reichstags vermerken, dass im Januar 1521 Kaiser Karl V. nach Neuschloß reitet. Im Jahr 1562 tut es ihm Kaiser Maximilian II. gleich.

Unter Ludwig V. wird schon zuvor Neuschloß 1553 zum Treffpunkt des Heidelberger Fürstenbunds. Die Besprechungen, notiert Heimatforscher Heinrich Friedrich Karb, an denen unter anderem die Herzöge von Württemberg, Bayern und Jülich sowie die Erzbischöfe von Mainz und Köln teilnehmen, finden abwechselnd in Heidelberg und Neuschloß statt, hier aufgelockert mit Jagdausflügen.

Friedrich IV., ein Freund der Künste, Musik und ausschweifenden Lebensweisen, lädt im Jahr 1608 zu einer großen „militärischen Belustigung“ ein. Es soll, schreibt Karb, die erste ausgedehnte Kriegsübung auf deutschem Boden überhaupt gewesen sein, als er am 15. Juni 1608 rund 12.000 Mann und 5.000 Pferde bei Neuschloß miteinander kämpfen lässt. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts gibt es in Neuschloß zudem fürstliche Maskenbälle und Karnevalsumzüge.

Untertanen müssen schuften

Ganz anders sieht das für die Menschen in den umliegenden Siedlungen aus. Seit Neuschloß steht, müssen die Untertanen aus dem Umkreis schuften für den Fürsten. Für die Bauern aus Lampertheim, Viernheim, Lorsch, Bürstadt, Biblis, Hofheim und Nordheim gilt eine Fronordnung. Das Archiv der Stadt Lampertheim verwahrt eine Abschrift einer Fronordnung aus der Zeit Friedrichs IV. Sie verlangt bestimmte Güter und Dienstleistungen, etwa Brennholz und Feldfrüchte bringen, Höfe und Ställe säubern. Frauen sollen die Gemächer reinigen, wenn der Fürst nach Neuschloß aufbricht. Einige Auszüge im Wortlaut:

Die gemeind zu Virnheim ist schuldig, alles brennholtz durchs gantz jahr ins Newschloß zu füren, hat man ihnen uff jeden wagen vier brödlein und etwa uff acht oder zehn personen ein suppen und keeß gereicht, soll ihnen hinfürt gegen solcher frohn für brod, suppen und keeß järlich gegeben werden neunzehen malter korn.
Lampertheim sein schuldig, das brennholtz, zum Newenschloß bedürfftig, beneben den Virnheimern (…), zu reißen und zu haufen, und sollen denselben gleich gehalten werden.
Sein sie schuldig, alle früchten, so umbs Newschloß wächst, in der schauern abzuladen und zu schlagen. Hat man ihnen zimblich cost und jeder person tags acht brödlein geben; soll hinfuhrt jeder person, so hierzu erfordert, des tags geben werden vierthalb albus.
Sein sie schuldig, zum Newenschloß die Höf und Ställ zu butzen, soll jeden anstatt brods und costens geben werden tags drey albus.
Wann Pfaltz(graf) zum Newenschloß abreist, und die gemächer zu seubern, auch das getüch zu wäschen, welches die weiber zu Lampertheim verricht(en), soll hinfurt (der) keller zimblich eßen und einer tags ein albus darzu geben, wie herkommen. Für solche cost soll ihme tags von jeder in außgabrechnung paßiren vier albus, that also uf eine tags für cost und lohn fünf albus.

Verräterischer „Jäger aus Kurpfalz“

Postkarte aus der Zeit um 1900. Quelle: Zeno.org
Postkarte aus der Zeit um 1900. Quelle: Zeno.org

Es klingt nach einem fröhlichen Lied, das noch heute gerne gespielt und gesungen wird. Auch Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl ließ es oft vortragen. Der „Jäger aus Kurpfalz“ dürfte, wie Heimatforscher Karb schlüssig herleitet, das Treiben der Fürsten in Neuschloß beschreiben: Das Wild schießen, gleich wie es gefällt, und andere die Pferde satteln lassen – das kann kein gewöhnlicher Jäger. Und neben dem grünen Wald gibt es bei uns auch die besungene grüne Heid.

Wenn heute das Lied erklingt, fehlen nicht selten einige ursprüngliche Strophen. Was sie beschreiben, passt nicht so recht ins fröhliche Bild: Der Jäger trifft neben Hirsch und Has‘ auch ein „Mägdlein an, und das war achtzehn Jahr“. Er reitet „nimmer heim, bis dass der Kuckuck, kuckuck schreit“.

„Die Jagd war zugleich Gelegenheit, sich sexuell zu vergnügen“, erklärt Musikjournalistin Nicole Dantrimont. Sie hat im Jahr 2011 den „Jäger aus Kurpfalz“ für die Sendung „Volkslieder“ von SWR 2 untersucht (Minute 6.25). Für die einheimischen Frauen sind solche Treffen sicher kein Vergnügen.

Der sexuelle Hintergrund erkläre den Kuckuck in der letzten Strophe – gemeint sei ein Kuckuckskind. Wegen der Anzüglichkeiten werden fliegende Blätter, die das Lied enthalten, konfisziert, hält das historisch-kritische Liederlexikon des Deutschen Volksliedarchivs fest.

1. Ein Jäger aus Kurpfalz,
Der reitet durch den grünen Wald,
Er schießt das Wild daher,
Gleich wie es ihm gefällt.

Refrain:
Juja, Juja, gar lustig ist die Jägerei
Allhier auf grüner Heid’,
Allhier auf grüner Heid’,

2. Auf! Sattelt mir mein Pferd
Und legt darauf den Mantelsack
So reit’ ich hin und her
Als Jäger aus Kurpfalz.

3. Hubertus auf der Jagd,
Der schoss ein’n Hirsch und einen Has’.
Er traf ein Mägdlein an,
Und das war achtzehn Jahr.

4. Des Jägers seine Lust
Den großen Herren ist bewusst,
Jawohl, jawohl bewusst,
Wie man das Wildpret schuss.

5. Wohl zwischen seine Bein,
Da muss der Hirsch geschossen sein,
Geschossen muss er sein,
Auf eins, zwei, drei.

6. Jetzt reit’ ich nimmer heim,
Bis das der Kuckuck, kuckuck schreit,
Er schreit die ganze Nacht
Allhier auf grüner Heid’!

Das Ende der Fürstenzeit

Der Dreißigjährige Krieg beendet die Schlossepoche: Neuschloß wird im Jahr 1621 endgültig zerstört. Und noch entscheidender: Die Kurpfalz verliert den Wildbann – und Neuschloß. Unser Gebiet geht zurück an Mainz, das die Bergsträßer Pfandschaft beendet. Die neuen alten Besitzer verspüren keine Leidenschaft für ein Jagdschloss. Sie bauen es nicht wieder auf.

Das ändert sich auch nicht, als Neuschloß 1705 an das Hochstift und damit die Bischöfe von Worms geht. Im Gegenteil: Im Jahr 1715 folgt die Erlaubnis, die übrigen Steine für andere Bauten zu verwenden, wovon vor allem Lampertheimer reichlich Gebrauch machen.

Nach der Zerstörung wird das Ackerland verpachtet, auf dem Schlossgelände entsteht eine Gaststätte. Von 1750 an erheben die Pächter auf dem nun gebührenpflichtigen Rennweg auch den herrschaftlichen Zoll.

Zeittafel