1959 bis 1980:
Zeit der Heimatvertriebenen

Als Ende der Fünfzigerjahre der Wohnraum knapp ist und Heimatvertriebene dringend eine Bleibe suchen, erinnert sich Lampertheim an Neuschloß. Auf dem Gelände von Jagdschloss und Fabrik soll eine Siedlung entstehen. Die Industriegebäude dort sind zu diesem Zeitpunkt weitgehend abgerissen. Aber auf den Grundstücken liegen Bauschutt und Fundamentreste; es gibt unterirdische Gänge und sogar Überbleibsel der Produktion wie Salzlager. Einige Mauern werden gesprengt. Weitere Probleme sieht aber niemand – möglicherweise gesundheitsgefährdende Altlasten sind zu dieser Zeit noch kein Thema.

Die Siedler sehen ihre große Chance. Sie nehmen Schippe und Spaten, heben Erde aus, werfen die Reste der Fabrik in die Tiefe und füllen oben die Erde von unten auf. Viele Männer bezahlen später mit ihrem gesunden Rücken oder der Bandscheibe dafür. Immerhin sind die Grundstücke meist um die tausend Quadratmeter groß – sie sind nämlich als landwirtschaftliche Nebenerwerbssiedlung gedacht.

So züchten die Vertriebenen neben ihrer normalen Arbeit in Neuschloß Schweine und Hühner, pflanzen Obstbäume, Weinreben und viel Gemüse an. Gegossen wird mit Grundwasser aus Brunnen. Die Neuschlößer schlachten, essen die Erzeugnisse und beliefern Metzger und Händler in der Kernstadt.

Erneut blüht Neuschloß auf: Idylle bei den Siedlern.
Erneut blüht Neuschloß auf: Idylle bei den Siedlern.

Erneut blüht Neuschloß auf, und zwar diesmal wortwörtlich. Bilder aus den Siebzigerjahren zeigen prächtige Gärten, einer neben dem anderen. In dieser Zeit schickt der Bund der Vertriebenen regelmäßig eine Jury durch die Nebenerwerbssiedlungen des Landes. Und immer räumt Neuschloß ab in dem Wettbewerb.

Noch heute hängen die Urkunden im Nebenraum des Bürgersaals am Ahornplatz. Die Siedler sind mit recht stolz auf das, was sie mit eigener Kraft aus einer großflächigen Industriebrache geschaffen haben.

Blick in einen Garten der Nebenerwerbssiedlung, hier von Familie Schumacher: Reben, deren Trauben zu Wein wurden, hinten links das eingefasste Frühbeet, danach eine Rasenfläche mit Pfirsichbäumen. In der Ferne, entlang des Weges, folgen Gemüsebeete.
Blick in einen Garten der Nebenerwerbssiedlung, hier von Familie Schumacher: Reben, deren Trauben zu Wein wurden, hinten links das eingefasste Frühbeet, danach eine Rasenfläche mit Pfirsichbäumen. In der Ferne, entlang des Weges, folgen Gemüsebeete.

In den Achtzigerjahren geht dann den Ersten die Kraft aus; Krankheitsfälle häufen sich, nicht selten ist es Krebs. Offiziell systematisch untersucht wird das nie. Die Siedler einigen sich untereinander, auf Flächen zu verzichten, damit zwischen Ulmen- und Lindenweg der Wacholderweg entstehen kann. Viele teilen ihre Grundstücke; meist bauen jüngere Familienmitglieder ihre Häuser auf den früheren Gemüse-beeten, jetzt am neuen Wacholderweg.

Aus der Nebenerwerbssiedlung wird so nach und nach ein Wohngebiet – mit der Besonderheit, dass die Nachbarn das gleiche Schicksal eint oder zumindest gemeinsame junge Jahre.

Zeittafel