Eine einfache Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Klar ist: In unserer Gegend, entlang der Oberrheinischen Tiefebene mit ihrem milden Klima, leben Menschen schon immer gerne. Bei Heidelberg fanden Forscher vor gut hundert Jahren in einer Sandgrube den Unterkiefer eines Urmenschen – einer der ältesten Funde der Gattung Homo in Europa überhaupt, ein Vorfahre der Neandertaler.
Mit den Kelten wird in unserem Landstrich der erste namentlich bekannte Volksstamm überhaupt sesshaft. Vom Jahr 40 unserer Zeitrechnung an hinterließen die Römer in den rechtsrheinischen Gebieten ihre Spuren. Um 260 überwinden die Alemannen den römischen Limes und drängen die Römer über den Rhein zurück. Im Jahr 500 rücken dann die Franken vor.
Franken sind es auch, die im Jahr 764 im heutigen Lorsch eine Abtei gründen – das Kloster, direkt bei uns um die Ecke, wird bis ins hohe Mittelalter ein Macht-, Geistes- und Kulturzentrum. 1232 kommt das Kloster zum Erzstift Mainz; im Jahr 1461 wird es dann, wie unsere gesamte Gegend, an die Kurpfalz verpfändet. Ein wichtiger Wechsel.
Denn jetzt sind wir schon ziemlich nahe dran am offiziellen Geburtstag unseres Stadtteils: Vom 10. September 1468 stammt eine Urkunde, versehen mit der Ortsangabe „datum in castro novo Friedrichsburg“ – übersetzt „gegeben/ausgefertigt auf dem neuen Schloss Friedrichsburg“. So heißt Neuschloß zunächst. Das ist der erste dokumentierte Hinweis auf das Jagdschloss – und damit auf unseren Stadtteil. Unsere 550-Jahr-Feier im Spätsommer 2018 bezieht sich darauf.
Neuschloß als „Spinne im Netz“
Dass Neuschloß auch vorher ein besonderer Ort war, womöglich schon früher bewohnt als dokumentiert, ergibt sich aus seiner zentralen Lage. Zentrale Lage? Was heute im kleinen Maßstab und in den Augen von jungen Leuten ohne Auto vielleicht überraschend klingt, war vor einigen Hundert Jahren im größeren Maßstab noch ganz anders. „Wie eine Spinne im Netz“, beschreibt Ludwig Konrad Frohnhäuser, Heimatforscher und von 1870 bis 1887 Pfarrer der evangelischen Lukasgemeinde in Lampertheim, die Lage von Neuschloß.
Warum das so ist, hat wiederum mit der älteren Vergangenheit zu tun. Den Römern nämlich – und deren Vorliebe für Fernstraßen. Eine der bedeutendsten: die Römische Rheintalstraße. Sie verbindet Italien mit dem Oberrhein und den dort stationierten Legionen, etwa in Straßburg oder Mainz. Eine rechtsrheinische Variante, gebaut um das Jahr 75, führt über Heidelberg und Ladenburg, Gernsheim und Groß-Gerau nach Mainz. Und direkt vorbei geht sie – richtig, an Neuschloß.
Man kann sich das als ziemlich gerade Linie vorstellen von Ladenburg über Straßenheim und Viernheim, vorbei am heutigen Viernheimer Dreieck (A6/A67) und dem Jägerhaus im Wald, weiter nahe der Senderanlage bei Neuschloß vorbei und dann auf den verlängerten Alten Lorscher Weg einige Hundert Meter nordöstlich von Neuschloß stoßend. Von dort geht’s weiter über die kerzengerade Steiner Straße – heute ein breiter Weg durch den Wald zwischen Bürstadt und Einhausen, Grenzschneise genannt. Der Geoinformationspunkt bei Groß-Rohrheim (am Schnittpunkt der Römerstraße mit der Landstraße Groß-Rohrheim/Jägersburg) ist dort ein Anlaufpunkt für weitere Informationen; der Weg dort heißt entsprechend „Alte Römerstraße“.
Schnittpunkt dreier alter Wege
Nun ist eine einzige wichtige Route noch kein Netz. Es gibt zwei weitere, und alle kommen in Neuschloß zusammen. Zunächst ist das die Straße von Frankfurt und Lorsch über den Neuschlößer Alten Lorscher Weg und die Lampertheimer Heide nach Mannheim. Wer heute mit dem Auto die Abkürzung über die Kreisstraße 3 nach Mannheim nimmt, wird hinter Lampertheim den Straßennamen „Alter Frankfurter Weg“ finden.
Und schließlich führt ein historischer Weg von Neuschloß aus zur Weschnitz-Mündung bei Nordheim. Bei uns bekannt als Renn-, Mühl- oder Heuweg, verläuft die bei laufenden und radelnden Freizeitsportlerinnen und -sportlern beliebte Route heute vorbei an der Grillhütte Heidetränke und der Trimm-dich-Strecke in Richtung Bürstadt. Von dort aus ging es weiter über Hofheim nach Nordheim.
Doch warum sollte eine Straße nach Nordheim bedeutsam sein? Auch der heutige Bibliser Stadtteil hat eine interessante Geschichte hinter sich. Wieder haben die Römer damit zu tun. In Trier wollen sie Kastelle und die Basilika bauen – und dafür Granit und Marmor aus dem Odenwald verwenden. Um das schwere Material transportieren zu können, verlegen sie kurzerhand in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts den Lauf der Weschnitz. Die biegt seither bei Lorsch scharf westlich ab und erreicht bei Nordheim den Rhein. Zur Sicherung der Mündung entstand dort im vierten Jahrhundert eine mehrgeschossige Festung – die Burg Stein. Über den Abzweig bei Neuschloß waren die Burgen und Schlösser in Nordheim, Ladenburg und Heidelberg direkt miteinander verbunden.
Bei so einer Lage würde es kaum überraschen, wenn Neuschloß schon vor der Jagdschloss-Zeit bewohnt gewesen wäre. Dafür spricht alleine schon die Bezeichnung „Neuschloß“. Wenn die Kurpfälzer das „Neu-“ betonen, gab es möglicherweise schon ein „Alt-“. Der Wormser Bischof Burchard erwähnte um das Jahr 1000 herum eine Kapelle und Zelle auf einem Hügel inmitten eines Waldes, zwei Meilen von Worms entfernt. Das würde passen. Und Franz-Rudolf Braun, der Lampertheimer Architekt und Besitzer des Beamtenbaus (dem einzigen bis heute erhaltenen Gebäude des kurpfälzischen Jagdschlosses), weist darauf hin, ein noch vorhandener gotischer Bogen des ursprünglichen Kellerabgangs stamme aus einer früheren Bauzeit, es müsse sich um eine Zweitverwendung des Baumaterials handeln.
Kurzum: Es spricht manches dafür, dass Neuschloß in Wahrheit viel älter ist als 550 Jahre. Belegen lässt sich die Vermutung aber nicht.